„Jeder macht so viel, wie er kann; einige Tagespunkte sind auch freiwillig“, erklärt Pater Paul, dass der Tag im Kloster Marienthal doch nicht ganz so durchgetaktet ist, wie es sich im ersten Moment anhört. „Jeder bei uns hat seine eigenen Aufgaben, denen er nachgeht, und auch den Nachmittag kann jeder für sich verbringen.“ Einkaufen, Trauungen und Taufen abhalten, Essen vorbereiten, Finanzen und Seelsorge – die Aufgaben seien durchaus vielfältig. „Ich kümmere mich morgens zum Beispiel um die Anfragen, die per Mail reinkamen, mittags genieße ich es aber auch einfach mal, eine Runde spazieren zu gehen, oder kümmere mich um unsere Gäste.“
Denn von Letzteren gäbe es einige: „Hier ist tatsächlich immer etwas los“, erzählt Pater Paul und holt ein Fotobuch hervor, in dem er Fotos von allen Besuchern des Klosters aufbewahrt. „Wir hatten vor Kurzem zum Beispiel einen Asylanten aus Weißrussland und einen jungen Mann aus Afghanistan hier“, berichtet er. Vor einigen Wochen sei zudem die kroatisch-franziskanische Jugend vor Ort gewesen, im Juni wurde es sogar tierisch: Ein Eselseminar machte am Kloster halt. Ob Wanderer, Wallfahrer, Asylanten oder auch Interessierte am Klosterleben, die Tür stehe offen, sagt Pater Paul. „Unsere Gastfreundschaft ist etwas, was uns hier in Marienthal auszeichnet, für mich hat es den Vorteil, dass ich gar keinen Urlaub zu machen brauche, hier habe ich ja Abwechslung genug.“ Gast zu sein im Kloster Marienthal bedeute aber nicht nur, ein Bett zum Schlafen zu bekommen. „Unter aktivem Mitleben verstehen wir mitbeten, mitessen und ins Gespräch kommen, wir sind aber auch sehr dankbar, wenn wir zum Beispiel Hilfe beim Geschirrspülen oder anderen Aufgaben bekommen.“ Wer zu Gast ist, wird also Teil der Gemeinschaft. Dass das Miteinander dabei immer gut klappt, sei kein Selbstläufer, verrät Pater Bernold, der bereits seit 25 Jahren im Kloster Marienthal lebt. „Jeder von uns ist sehr unterschiedlich, umso wichtiger ist ein gutes Miteinander, das macht das Klosterleben aus“, erklärt der Franziskaner, der vor seiner Zeit in Marienthal zehn Jahre in Kamerun verbrachte. „Man lernt, mit Menschen und deren Unterschieden umzugehen, auch wenn es natürlich immer mal wieder Konfliktfelder gibt – ganz nach dem Gebot der Liebe.“
Ein weiteres Gebot für das Leben als Franziskaner sei das Auskommen ohne Reichtümer. Im Wohnhaus der Franziskaner findet sich kein Prunk und Gold, die Räume sind einfach, aber gemütlich eingerichtet. Immerhin ein Fernseher findet sich im Aufenthaltsraum, in dem die neun Brüder zusammenkommen. In ganz Deutschland gebe es aktuell nur noch rund 27 Franziskanerhäuser und 200 Mitbrüder, erklärt Pater Paul. „Einer unserer Brüder ist unter 66 Jahre alt, die Hälfte ist schon über 80.“ Doch auch wenn der „Nachwuchs“ fehle, sieht er es optimistisch: „Dafür, dass wir so alt sind, ist hier noch einiges los.“
20 Uhr, der Tag neigt sich dem Ende entgegen und auch im Kloster wird es langsam ruhiger. „Nach dem Abendessen, Abspülen und der Tagesschau schauen wir noch, ob es etwas zu besprechen gibt“, berichtet Pater Paul. Zum Beispiel, was in den kommenden Tagen ansteht, oder auch größere Planungen. „Im nächsten Jahr feiern wir 150 Jahre Franziskaner in Marienthal“, erklärt der Pater und verkündet damit, dass auch ein Jahr nach dem großen Jubiläumsjahr in Geisenheim die Feierlichkeiten im Kloster weitergehen werden. Dann können die Brüder ganz sicher auch wieder ihre Gastfreundlichkeit unter Beweis stellen. (mh)
„HIER BLEIBT KEINER ALLEIN“
Lieblingsplatz in Geisenheim
„Mein Lieblingsplatz ist der Weinprobierstand am Rhein. Am weinigsten und zugleich romantischsten Fluss der Welt treffen sich die Geisenheimer und ihre Gäste zum munteren Gebabbel. Keiner bleibt allein, alle fühlen sich wie in einer großen Familie. Wenn am Abend die Sonne hinter dem Hunsrück versinkt und der Rhein silbern glitzert, fühle ich: Heute war wieder ein guter Tag.“
Wolfgang Blum, Wanderführer