Geschäftsführerin Bildung der IHK Christine Lutz gibt Tipps, wie ein besseres Matching von Unternehmen und Azubis gelingt

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„Wer Fachkräfte sucht, muss ausbilden!“

Christine Lutz sieht die Ursache der sinkenden Ausbildungsplätze vor allem im falschen Matching zwischen Ausbildungsstelle und Bewerber:in. Deshalb sind Aufklärungsarbeit und Praktika besonders wichtig. Foto: Annika List

Christine Lutz, stellvertretende Hauptgeschäftsführerin und Geschäftsführerin Bildung der IHK Wiesbaden, gibt im Gespräch einen Überblick zur Situation auf dem Ausbildungsmarkt.Wie sieht’s aus auf dem Ausbildungsmarkt?Christine Lutz: Seit 2018 geht die Zahl der eingetragenen Ausbildungsplätze im Bezirk der IHK Wiesbaden zurück. Im letzten Jahr haben wir im Vergleich zum Jahr 2018 rund 400 Verträge weniger eingetragen. Das ist ein alarmierender Zustand, der nicht nur durch die Pandemie verursacht wurde.In vielen Fällen funktioniert das Matching nicht mehr – die Ausbildungsstellen und die Bewerber: innen passen scheinbar nicht zusammen. Und so kommt es dann, dass Ausbildungsplätze unbesetzt bleiben, obwohl die Firmen dringend Nachwuchs suchen, und gleichzeitig Schülerinnen und Schüler aus Unsicherheit weiter zur Schule gehen, weil sie nicht wissen, wohin die berufliche Reise gehen soll. Insgesamt ist das sehr unbefriedigend!

„Die Ausbildungszeit ist auch die Zeit des Lernens. Fehler dürfen gemacht werden, Fragen müssen gestellt werden, nicht alles läuft perfekt. Als Ausbilder hat man eine große Verantwortung für die jungen Menschen.“

Christine Lutz

Was hat sich denn geändert im Vergleich zu früher?

Christine Lutz: Führen wir uns doch die Situation der Jugendlichen in den letzten beiden Jahren vor Augen: Es gab über weite Strecken kaum geregelten Unterricht, berufliche Orientierung kam praktisch nicht vor. Praktika waren nicht möglich, Bildungsmessen sind ausgefallen, Bildungsberater und Ausbildungsbotschafter konnten nicht an die Schulen. Das Ergebnis ist, dass Schülerinnen und Schüler im Abschlussjahrgang keine Vorstellung davon haben, was sie beruflich machen wollen. Viele verlängern dann einfach die Schullaufbahn oder schreiben sich an einer Hochschule ein, um überhaupt irgendetwas zu machen.

Und was sagen die Unternehmen zu dieser Situation?

Christine Lutz: Viele sagen uns, dass die Schülerinnen und Schüler heute schlechter auf das Arbeitsleben vorbereitet sind als früher. Das ist zum Teil sicher zutreffend. Es gibt die Fälle, in denen Auszubildende im ersten Lehrjahr es über Monate nicht schaffen, pünktlich im Betrieb zu sein, sich rechtzeitig krank zu melden, Arbeitsaufträge in der vereinbarten Zeit zu erledigen oder auch nur um Hilfe zu bitten, wenn sie etwas nicht verstehen.

Allerdings ist die Ausbildungszeit auch die Zeit des Lernens. Fehler dürfen gemacht werden, Fragen müssen gestellt werden, nicht alles läuft perfekt. Als Ausbilder hat man eine große Verantwortung für die jungen Menschen, nicht umsonst muss man eine Prüfung machen, um ausbilden zu dürfen. Wie überall kommt es auch hier sehr stark auf die Beziehung zwischen Azubi und Ausbilder an. Eine gute Kommunikation und konsequentes Handeln müssen sich ergänzen. Und wenn gar nichts mehr geht, dann muss man auch eine Kündigung in Betracht ziehen. Das gilt für beide Seiten.

Was raten Sie Unternehmen? Wie können sie sich verhalten?

Christine Lutz: Wir raten ihnen dringend dazu, jetzt besonders aktiv zu werden. Die beste Entscheidungshilfe für Unternehmen und potenziellen Azubi ist das Praktikum. Es bietet unschätzbare Vorteile für beide Seiten: Der Jugendliche sieht, ob die eigenen Vorstellungen von einem Beruf mit der Realität übereinstimmen und der Betrieb erkennt, ob die Person ins Gefüge passen könnte. Wenn die Praktikantin auch in der zweiten Praktikumswoche immer noch pünktlich und motiviert ins Unternehmen kommt, dann ist das ein gutes Zeichen. Da ist die Mathenote zweitrangig.

Unbedingt sollten Betriebe ihre freien Ausbildungsplätze der Arbeitsagentur melden und sie auch in der IHK-Lehrstellenbörse veröffentlichen. Dort können im Übrigen auch Praktikumsplätze inseriert werden, das wird sehr gut angenommen.

Außerdem sollten Personalverantwortliche auch Bewerbern eine Chance geben, die nach der Standardmethode vielleicht durchs Raster gefallen wären. Denn was ist die Alternative? Gebe ich dem Kandidaten oder der Kandidatin, die zur Verfügung steht, eine Chance oder verzichte ich ganz auf die Ausbildung? Vertraue ich darauf, dass in der Zukunft genügend gut ausgebildete Fachkräfte für meinen Betrieb zur Verfügung stehen? Das kann schiefgehen. Der DIHK-Fachkräftereport von 2021 zeigt, dass jedes zweite Unternehmen (57 Prozent) über längere Zeit erfolglos Facharbeiterinnen und Facharbeiter mit einer abgeschlossenen Berufsausbildung sucht. Daraus kann man schlussfolgern, dass diejenigen gut fahren, die ihre künftigen Fachkräfte selbst ausbilden und bestenfalls auch nach der Ausbildung im Unternehmen halten können. Der Markt ist leergefegt.

Was kann die IHK bieten, um das Matching zu erleichtern?

Christine Lutz: Unser stärkstes Instrument sind unsere IHK-Ausbildungsbotschafter. Oft erleben wir, dass diese auf eine andere Art mit den Schülern in Kontakt treten, als das ein älterer Erwachsener könnte. Gerade wenn die Botschafter davon berichten, wie sie selbst an die Berufssuche herangegangen sind, können sich Schülerinnen und Schüler darin wiederfinden. Die Unternehmen, die dann ein Praktikum in einem vorgestellten Beruf anbieten können, haben einen Vorteil. Nichts schlägt die praktische Erfahrung, das ist eine Erkenntnis, die uns besonders in den beiden Jahren der Corona-Pandemie dramatisch klar vor Augen geführt wurde. Insofern lautet mein Rat: Wann immer möglich, lassen Sie die jungen Menschen in Ihren Betrieb. Wann haben Sie sonst die Möglichkeit, Ihre ganzen Vorteile auszuspielen?

Das Interview führte Roland Boros,
IHK Wiesbaden
  

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Weitere Informationen zu den IHK-Ausbildungsbotschaftern: www.ihk-wiesbaden.de/ausbildungsbotschafter

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